07.02.2016
7. Februar 2016
07.02.2016
7. Februar 2016
Show all

03.02.2016

Seit Donnerstag letzte Woche ist es für uns als Paar entschieden: wir verlassen den Tempelhof. Wir wissen nicht wohin. Wir wissen, dass es kein glücklicher Moment ist, unsere Kinder aus dem gewachsenen Umfeld heraus zu reißen. Wir wissen nicht, wo- und wovon wir in einem halben Jahr leben werden. Wir wissen nur, dass es uns an diesem Platz nicht gut geht. Dass wir dort immer kleiner werden. Dass wir unsere Potentiale dort nicht entfalten können.
Wir haben beide Angst. Wieder ein Schritt in die totale Offenheit und Unsicherheit. Wieder sich auf die Reise ins Ungewisse machen.

Nach dem Mittagessen gehen wir noch im Büro vorbei und holen die Post. Darunter ist ein Brief von unserem ehemaligen Rechtsanwalt. Er hatte uns über drei Jahre unentgeltlich dabei unterstützt, gegen die Versicherung des Krankenhauses in Bremen vorzugehen, in dem Carola bei einer missglückten OP 2010 beinahe verstorben wäre. Diesen Prozess hatten wir vor einigen Monaten aufgegeben. Das ewige sich mit der Vergangenheit Beschäftigen, schien uns mehr und mehr die Zukunft zu verbauen.

Nun schrieb er: “…Du schreibst, dass ihr den Kopf gerade über Wasser halten könnt. Ich glaube, dies ist der richtige Augenblick, um das kleine Guthaben, das hier auf euch wartet, abzurufen….“

Ungläubig schauen wir uns an. Kann das wirklich sein? Da arbeitet dieser Mensch schon unentgeltlich für uns und dann hat er noch für den Fall, dass er den Prozess für uns verliert, Rücklagen gebildet, damit wir nicht auf den Prozesskosten der Gegenseite sitzen bleiben?

Uns laufen beiden die Tränen. Unser Sohn Nils sitzt daneben und fragt, ob jemand gestorben sei? Nö, wir sind einfach nur überwältigt von der Geste.Mitten in all der Enge und Ausweglosigkeit trifft uns diese Nachricht mitten ins Herz. Es ist eine bescheidene Summe und wird nicht unsere Probleme lösen, aber sie wendet unseren Blick. Anstatt paralysiert auf die scheinbar unüberwindlichen Hürden zu starren, fangen wir an, nach kreativen Möglichkeiten zu suchen.

Warum denken wir nicht mal wieder ganz anders? So wie vor dem Aufbruch zu unserer Weltumseglung?

Wie wäre es, wenn das Geld zum Leben von ganz wo anders käme? Wenn die Menschen, die dafür sorgen, dass ich leben kann, nicht zwingend die gleichen sind, für die ich etwas mache? Wenn ich nicht Waren oder Dienstleistungen gegen “Einkommen“ tauschen würde?

Uhhps, jetzt wird es richtig heiß:
Was würde passieren, wenn ich die Menschen einfach so mit auf die Segelexpeditionen nehme? Wir teilen die Kosten für Hafengeld, Essen und Diesel, und das war‘s. Das schiff, meine Zeit, und mein Einsatz wären nicht bezahlbar?

Wer denkt, dass ich mit meinem Sein und Tun eine Daseinsberechtigung habe, beteiligt sich mit einer Schenkung an meinem Lebensunterhalt.

Geht das überhaupt?

Sofort ist die Angst da: Geiz ist geil! Die Menschen werden dich schamlos ausnutzen. Es wird sich wie ein Lauffeuer verbreiten, dass man bei diesem netten Deppen für lau Mitsegeln und sich noch eine schöne Zeit machen kann. Nach einem Jahr werde ich pleite sein und das Schiff verkaufen müssen.

Da ist sie wieder, die Urangst meines Lebens: Ich bin es nicht wert, auf diesem Planeten zu existieren. Punkt.

Wenn ich nicht darum feilsche und um meine Existenz kämpfe, komme ich zu kurz, gehe ich unter.

Aber hat nicht gerade eben jemand genau das für uns getan? Sich um unser Auskommen gesorgt? Von seiner Fülle geschenkt? Sein Auskommen mit uns geteilt?

Mich beschämt meine Angst. Wie wenig Vertrauen habe ich in die Integrität der anderen Menschen. Für wie egoistisch und Niederträchtig halte ich euch Anderen im Grunde meines Herzens. Schließlich habe ich euch noch nie danach gefragt!

Und jetzt dämmert mir langsam, dass es für mich gar nicht um ein segelndes Seminar, Expeditionen, oder was auch immer geht. Die mache ich für die anderen Menschen. Für mich geht es vielleicht genau um diese meine Angst: Wenn ich das tue, was mir am meisten Freude auf dieser Erde bereitet, dann werde ich verhungern?

Umgedreht könnte es ja auch so lauten: Erst wenn ich wirklich dasjenige tue, was mich mit Freude erfüllt, bin ich eine Bereicherung für diese Welt?!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert