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20.10.2016

Liebe interessierte Mitmenschen,

“Mich beschäftigt die Frage was passiert, wenn ich meine „Arbeit“ nicht mehr verkaufe. Was geschieht, wenn wir damit ernst machen?“… 

Das schrieb ich zum Experiment Unbezahlbar im Frühjahr. Sechs Monate später, bin ich um zahlreiche Erfahrungen reicher.
Ich schreibe jetzt einfach mal meine Gedanken unter die ursprünglichen Fragen:

  • Können wir uns der Tendenz alles als Warezu sehen, überhaupt entziehen?

Hier kommt ein klares JEIN. Mehr dazu weiter unten…

  • Lege ich mich auf die faule Haut, weil ich nicht mehr für mein Auskommen arbeiten muss?

Definitiv nicht. Ich hatte viel Spaß, und gleichzeitig war die Zeit mit den vielen Menschen an Bord sehr intensiv. Und manchmal hat es sich auch wie Arbeit angefühlt. Vor allem, wenn beim Crewwechsel nicht genügend Zeit zum Putzen, Wäsche waschen, Einkaufen und Durchamten war.  Gleichzeitig habe ich nie Stunden gezählt oder auf “den Feierabend“ gewartet.

  • Werden die Menschen mein Angebot so unverantwortlich nutzen, dass nicht genug für mich zum Leben zusammen kommt und ich mit dem Experiment finanziell Schiffbruch erleide?

Da gibt es zwei Geschichten. Die erste geht so: Es fehlen zur Zeit noch 12.600€. Insofern ist das Experiment gescheitert, da mein Einkommen und der Unterhalt für das Schiff nicht vollständig zusammen gekommen sind (aber noch ist das Jahr ja auch nicht zu Ende. Nur die Segelsaison…).

Die zweite Geschichte geht dagegen so: Ich habe von 56 unbekannten Menschen 20.000€ geschenkt bekommen. Davon sind 4.000€ von 14 Menschen, die nicht mit an Bord waren. Was für ein Erfolg! In ihm spiegelt sich überraschend genau wieder, wie sehr es mir selbst gelungen ist, an dieses Experiment zu glauben: Etwa 30% in mir haben nicht gedacht, dass es funktionieren könnte; haben gezweifelt. Ist es Zufall, dass nun diese 30% noch fehlen?

  • Können wir das überhaupt denken: Du gehst mit mir auf Expeditionsreise und kannst dich unabhängig davon an meinem Auskommen beteiligen? (oder eben auch nicht?).

Wieder ein klares JEIN. Ich konnte für mich immer wieder das Thema “Geld gegen Segeln“ über weite Strecken loslassen. Konnte einfach mit den Menschen an Bord sein. Und dann hat es mich trotzdem auch heftig gepackt und geschüttelt. Existenzangst, Mangelgefühle, Enge, Misstrauen. Neid. Der ganze Scheiß eben.

Bei meinen Gästen waren die Reaktionen auch eher gemischt: Vier haben sich finanziell gar nicht beteiligt. Viele erlebten es als eine Herausforderung (und zum Teil als Provokation), sich selbst ein Urteil zu bilden, was denn nun für sie angemessen ist.
Durch die Gespräche zog sich wie ein roter Faden der scheinbar unausrottbare Gedanke, dass eine Woche Segeln halt doch einen Preis hat.
Müheloser waren dagegen die Reaktionen der Menschen, die sich direkt an meinem Lebensunterhalt beteiligt haben, ohne selber mitzufahren. Also Schenken ohne selber etwas geschenkt zu bekommen geht für unsere konditionierten Gehirne dann wieder leichter?

  • Haben auch unbezahlbare Expeditionen einen Preis?
  • Haben die Schwaben recht mit dem Sprichwort: Was nix koscht, is nix Wert?

Die beiden letzten Fragen sind für mich immer noch sehr spannend und treiben mich um.

Das schwäbische Sprichwort kann ich mit Nein beantworten. Denn selbst für die Menschen, die mein Projekt genutzt haben, ohne sich finanziell zu beteiligen, war die Zeit auf der Phoenix wertvoll und hat ihr Leben bereichert.

Und der Preis? Niemand an Bord kam an dieser Frage vorbei! Im besten Fall setzte ein Prozess ein, an dessen Ende ein vorläufiges Fazit in etwa so lauten könnte: Der Preis ist immer eine Verabredung zwischen Menschen und damit Ausdruck einer Beziehung. Er sollte also idealerweise die Lebenssituation beider Seiten berücksichtigen. Einem Menschen ganz unabhängig von dem, was er tut, sein Dasein zu ermöglichen, ist nicht Aufgabe von Einzelnen, sondern kann letztlich nur durch einen gesellschaftlichen Wandel der Sichtweise und Wertung von Mensch und Arbeit gelöst werden.

Insofern könnte ich jetzt hier das Experiment beenden, die fehlenden 12.600€ unter Lehrgeld verbuchen, zu einem ganz normalen, preisbasierten Angebot wechseln (denn es wird in 2017 weitergehen!) und ansonsten auf die Einführung des bedingungslosen Grundeinkommens am Sankt Nimmerleinstag warten. Das wäre klar, scheinbar gerecht, denn Alle zahlen gleich viel, transparent und für mich risikoarm.

Und unendlich traurig. Denn all die kleinen und großen Wunder dieses Sommers wären damit für die Zukunft ausgeschlossen. Niemand könnte mehr einfach so mitfahren, weil er oder sie gerade diese Erfahrung dringend braucht, aber eben im Augenblick nur wenig oder kein Geld dafür hat. Niemand könnte sich mit einem für ihn selbst angemessenen Betrag beteiligen. Niemand würde das Projekt einfach so mit Geld und/oder guten Gedanken beschenken. Und am wichtigsten: Niemand würde  an dieser Stelle auch nur einen einzigen Gedanken daran verschwenden, ob unsere gesellschaftlichen Übereinkünfte bezüglich Arbeit und Entlohnung nicht dringend überdacht und geändert gehören!

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