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Ciao ANAKIWA, Ciao Experiment UNBEZAHLBAR

Ihr Lieben,

ich habe Abschied genommen. ANAKIWA ist verkauft an zwei wunderbare Menschen, die erfahrene Segler sind und die Herausforderungen eines Katamarans gut meistern werden. Sie werden weite Reisen unternehmen, sodass meine Angst, dass ANAKIWA das Schicksal so vieler Yachten teilen wird, die überwiegend ungenutzt in den Häfen vor sich hinträumen (und rotten), unbegründet ist.
Viel Glück wünsche ich euch auf euren gemeinsamen Reisen!
Auf ANAKIWA wird bis auf weiteres kein neues Schiff folgen. Damit ist auch das Experiment UNBEZAHLBAR mit seiner 6. Saison abgeschlossen.
Was bleibt für mich als Fazit?
Die Idee der freigegebenen Preise ist auf jeden Fall spannend. Ich selbst bin im Verlauf der 6 Jahre viele emotionale Achterbahnfahrten gefahren.
Mein Grundangst, dass nur die Sparfüchse und Schnäppchenjäger zu mir finden, und ich finanziellen Schiffbruch erleiden werde, hat sich nicht bestätigt! Die überwältigende Anzahl der knapp über 300 Teilnehmenden sind fair und zum Teil äußerst großzügig mit der von mir geschenkten Freiheit umgegangen.
Sehr beeindruckt haben mich auch die Menschen, die das Projekt mit Geld unterstützt haben, ohne selber mit mir gesegelt zu sein. Danke, dass ihr so viel Energie in diese Idee geschenkt habt!
Eine weitere Erkenntnis für mich persönlich: Forschung, und als solche habe ich dieses Experiment immer verstanden, kann sich nicht wirklich aus sich selbst heraus finanzieren. Es braucht für solche Versuche zumindest in der Startphase Geld von Außen. In meinem Fall waren es fast 40.000,00€ die meine Frau und ich aus unserer Altersrücklage in das Projekt gesteckt haben.
Diese zunächst happig erscheinende Summe relativiert sich aber durch den Umstand, dass allein in den letzten zwei Jahren, bedingt durch die Corona-Maßnahmen unserer Regierung (Saisonverkürzung von 5,5 Monaten auf 3 Monate), ein Minus von fast 25.000,00€ entstanden ist.
Im Jahr vor “Corona“ war das Experiment zum ersten Mal im Plus und ich gehe davon aus, dass ohne diese drastischen Beschränkungen, wir weiter zumindest ein ausgeglichenes Ergebnis erzielt hätten.
Corona, bzw. der Umgang in unserem Land damit, ist auch der Anlass für das Ende. Wir haben einfach nicht mehr genug Geld, um evtl. noch eine weitere Saison Verluste in solcher Höhe zu riskieren.
Das ist sehr traurig für mich und auch für meine Gäste, wie ich von vielen Mitseglern gehört habe. Ich werde das Meer und den Wind vermissen. Ich werde das Kochen für euch vermissen. Und ich werde die spannenden Gespräche und Begegnungen am Salontisch vermissen.
Eine Tür ist damit geschlossen. Eine neue hat sich bereits für mich geöffnet: Meine Grundfrage ist schon lange, wie wollen wir denn eigentlich leben?
Nach dem ich nun sehr existentiell einen anderen Umgang mit Geld erforschen durfte, hat sich hier am Tempelhof eine weitere Fragestellung entzündet: Wie kann die junge Generation schneller als wir zukunftsfähig werden?
Wir hinterlassen ihnen eine zusehends scheiternde Zivilisation. An unseren Ausbildungsstätten, Hochschulen und Universitäten lehren wir vor allem, was alles nicht funktioniert. Sicher sind viele nützliche Fähigkeiten und Zivilisationstechniken unter den bisherigen Inhalten, die es auch Wert sind, weiter gelehrt und genutzt zu werden. Das meiste Wissen aber – und vor allem unser Umgang damit – hat uns dorthin gebracht, wo wir momentan sind.
Gleichzeitig stehen wir den jungen Menschen gegenüber in der Verantwortung. Es ist unsere Aufgabe, sie dabei zu unterstützen, ihren ganz eigenen Weg in die Zukunft zu entwickeln. Wie aber sieht eine wirklich zukunftsfähige Gesellschaft aus? Letztlich können wir Älteren diese Frage nicht beantworten.

Ein erster Schritt wird es darum sein, den Anspruch aufzugeben, wir wüssten was im Morgen an Wissen und Fähigkeiten gebraucht wird.
Es gilt gemeinsam Fragen zu stellen: Wie wollt ihr denn leben? Wie wollt ihr Wohnen, Arbeiten, Essen, Reisen, euch Kleiden und euch als Gesellschaft organisieren? Und was braucht ihr dafür an Werkzeugen und Fähigkeiten?
Der vielleicht größte Schatz der älteren Generation sind unsere geballten Erfahrungen im Scheitern. 2000 Jahre Gesellschaftsentwicklung unter den toxischen Paradigmen: Ich gewinne, du verlierst und der Mensch ist dem Menschen ein Feind.
Was passiert, wenn wir als Alternative radikal auf Kooperation, Selbstführung, Vertrauen und Beziehung setzten?
Wenn wir das Bild vom wissenden Lehrer endlich aufgeben, und uns gemeinsam auf die Suche machen?
Und: Wie geht so ein Paradigmenwechsel überhaupt?
Ein weiterer Schritt kann die Idee sein, dass Ausbildung heute unbedingt neben der Vermittlung von Wissen und Fähigkeiten einen offenen Raum braucht, in dem die jungen Menschen Träumen, Forschen und sich Erproben können. Egal ob sie Schreiner oder Architekt, Banker, Landwirt oder Wissenschaftler werden wollen. Ein Raum, in dem sie ganz bewusst üben, die Zukunft zu erlauschen. Die Welt braucht mehr denn je Menschen, die bereit sind, hinter den gewohnten Horizont zu schauen!
Ihr seht schon, der Ben ist wieder voll am Sprudeln. Meine neue Aufgabe als Geburtshelfer für so eine zukunftsoffene Ausbildung erfüllt mich mit großer Freude und Begeisterung. Wir bereisen unbekannte Gewässer und vielleicht sind die Fähigkeiten, die mich das Meer gelehrt hat, auch an Land durchaus anwendbar und hilfreich: Gelassenheit, genaue Beobachtung der “Großwetterlage“, Flexibilität und das Wissen, dass es immer anders wird als geplant, der Wille, groß zu träumen und immer wieder unbekannte Kurse zu steuern, und als wichtigstes die absolute Präsenz im Augenblick?
In diesem Sinne verabschiede ich mich ganz herzlich von euch.
Danke, dass ihr auf die eine oder andere Weise Teil meiner Segel-Reisen ward. Ihr habt mich wachsen lassen und mich beflügelt, selbst dann, wenn ich es nicht sofort gesehen habe.
Herzlich euer Skipper, Ben
P.S.: Wer mag schaut gelegentlich auf meinem Blog vorbei. Dort werde ich weiter von meinem Weg berichten und auch ab und zu launisch meinen Senf zur Großwetterlage dazu geben …
Und wer sich für das gerade entstehende Ausbildungsprojekt interessiert, schaut gerne gelegentlich hier vorbei: https://juba-tempelhof.de/

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